und der fehlenden Baukultur
„Das habe ich noch nie vorher versucht, also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe.“
Diesen Satz von Pippi Langstrumpf liebe ich – nicht nur, weil er kindliche Unerschrockenheit ausdrückt, sondern weil er genau das beschreibt, was ich in meiner Arbeit als Architektin immer wieder erlebe.
Wenn ich einem Handwerker erkläre, dass die alten Steine nicht entsorgt, sondern wiederverwendet werden sollen, oder wenn mich Leute schief anschauen, weil ich von Hanfdämmung spreche, fühle ich mich manchmal wie Pippi – als würde ich gegen festgefahrene Überzeugungen kämpfen. Und das, obwohl ich seit 20 Jahren auf Altbausanierung und Denkmalpflege spezialisiert bin.
Doch nachhaltige Baustoffe allein machen noch keine zukunftsfähige Sanierung aus. Das eigentliche Problem ist viel größer: Uns ist unsere BAUKULTUR abhandengekommen. Und genau darüber müssen wir sprechen.

Warum Baukultur für unsere Gesellschaft wichtig ist
Ich bin Mutter von zwei Teenagern und bekomme täglich mit, wie ihre Generation tickt. Baukultur? Handwerkstraditionen? Lebensgemeinschaften? Diese Themen tauchen in ihrem Alltag so gut wie gar nicht auf. Und in der Schule? Fehlanzeige. Im regulären Unterricht findet die Baukultur keinen Platz.
Dabei ist genau das essenziell für die Zukunft des Bauens und Wohnens. Ohne ein grundlegendes Verständnis der Baugeschichte, traditioneller Baustoffe und der Entwicklung unserer Städte und Dörfer fehlt die Sensibilität für den Umgang mit unserer gebauten Umwelt. Vieles, was heute verloren geht, geschieht nicht aus Absicht – sondern aus Unwissenheit.
Und doch: Wer einmal mit eigenen Händen einen alten Baustoff bearbeitet hat, begreift intuitiv seinen Wert. Von der Hand in den Kopf – so funktioniert echtes Lernen.
Baukultur geht uns alle an
– Verantwortung für die Zukunft
Unsere Baukultur ist mehr als eine Sammlung alter Gebäude. Sie ist ein Spiegel unserer Werte, unserer Geschichte und unserer Visionen für die Zukunft. Als Architektin sehe ich es als meine Aufgabe, zwischen dem Erbe der Vergangenheit und den Anforderungen der Gegenwart zu vermitteln.
Doch es reicht nicht, dass nur Fachleute sich mit diesem Thema beschäftigen. Wir alle – Architekten, Handwerker, Bewohner, Lehrer, Eltern – müssen das Bewusstsein für Baukultur in unserer Gesellschaft stärken. Denn nur wenn wir lernen, die Schönheit und Bedeutung des Alten zu schätzen und gleichzeitig offen für innovative Lösungen bleiben, können wir eine gebaute Umwelt schaffen, die sowohl funktional als auch ästhetisch überzeugt – und kommenden Generationen als Inspiration dient.

Ein erster Schritt in die richtige Richtung
Mit großer Freude habe ich daher das Engagement der Bundesstiftung Baukultur auf der Denkmal-Messe in Leipzig im November 2024 wahrgenommen. Die Stiftung hat ein Schulbuch zur Baukultur herausgebracht – ein erster, wichtiger Schritt!
Jetzt braucht es nur noch die richtigen Menschen, um dieses Wissen in die Schulen zu bringen. Meine ersten Kontakte sind bereits geknüpft. Und ich bin sicher: Wenn wir es schaffen, jungen Menschen die Bedeutung von Baukultur näherzubringen, dann legen wir das Fundament für eine nachhaltige, wertschätzende Art des Bauens und Wohnens.
Verantwortung übernehmen
Baukultur umfasst weit mehr als Architektur oder Denkmalschutz. Sie betrifft uns alle, denn sie bestimmt unsere gebaute Umgebung – und damit unsere Lebensqualität. Jeder Einzelne trägt Verantwortung, sei es durch bewusste Entscheinungen im eigenen Wohnumfeld oder durch die Unterstützung nachhaltiger Bauprojekte.
Diese Verantwortung erstreckt sich auf verschiedene Aspekte:
- Gestaltung der Lebensräume: Unsere gebaute Umwelt beeinflusst direkt die Qualität unserer Lebensräume. Jeder Einzelne kann durch bewusste Entscheidungen und Handlungen zur Verbesserung dieser Räume beitragen.
- Nachhaltigkeit: Nachhaltigkeit: Traditionelle Baustoffe wie Holz, Lehm oder Hanf bieten umweltfreundliche Alternativen zu modernen Materialien. Durch die Verwendung diser Baustoffe und energieeffizienter Lösungen kann jeder einen Beitrag leisten.
- Soziale Verantwortung: Eine gute Baukultur fördert ein lebendiges Miteinander und schafft inklusive Räume für alle Gesellschaftsschichten.
- Regionale Identität: Durch die Unterstützung von Projekten, die sich harmonisch in die Umgebung einfügen, trägt jeder Einzelne zur Bewahrung des regionalen Charakters bei.
- Prozessqualität: Baukultur umfasst auch die Art und Weise, wie Bauprojekte geplant und umgesetzt werden. Bürger können sich aktiv an Planungsprozessen beteiligen und so die Qualität von Bauprojekten beeinflussen.
- Wirtschaftlicher Erfolg: Bürger, die sich aktiv in Immobilienprojekte einbringen, können entscheidend zur Qualität unserer gebauten Umwelt beitragen.
Indem jeder Einzelne diese Aspekte berücksichtigt und sich seiner Rolle im Gestaltungsprozess unserer gebauten Umwelt bewusst wird, übernimmt er Verantwortung für die Baukultur und trägt zu einer lebenswerten Umgebung für alle bei.
Ein positives Beispiel ist das Engagement der Bundesstiftung Baukultur, die mit verschiedenen Publikationen und Bildungsprojekten einen wichtigen Beitrag leistet.
Vorurteile über Altbausanierung – was wirklich zählt
In meinem Alltag als Architektin begegne ich immer wieder denselben Vorurteilen gegenüber der Altbausanierung. Die Werbeindustrie suggeriert, dass nur ein Neubau modernen Wohnkomfort bieten kann – und wer sich für die Sanierung eines alten Hauses entscheidet, wird oft belächelt.
Typische Vorurteile wie:
- „Sanierung ist teurer als Neubau.“
- „Die Bausubstanz ist zu schlecht.“
- „Altbauten bieten keinen modernen Wohnkomfort.“
begleiten den Arbeitsalltag von all denen, die sich mit der Sanierung von alten Häusern beschäftigen. Doch diese Aussagen sind nur bedingt richtig. Das Problem liegt eher im mangelnden Fachwissen. Bis vor wenigen Jahrzehnten wurden Handwerker noch intensiv in traditionellen Techniken ausgebildet. Heute ist dieses Wissen rar, und es braucht eine gute Vernetzung, um die richtigen Partner für eine gelungene Sanierung zu finden.
Besonders bei denkmalgeschützten Gebäuden ist es entscheidend, sich mit traditionellen Materialien und Techniken auszukennen. Doch es gibt eine erfreuliche Entwicklung: Immer mehr junge Familien entdecken den Charme alter Häuser und investieren in ihre Sanierung. Viele eignen sich sogar selbst handwerkliche Fähigkeiten an, um Kosten zu sparen und den Wert ihrer Gebäude zu erhalten.
Tradition trifft Moderne – ein Balanceakt oder die Basis für gesundes Wohnen?
In einer Zeit, in der Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung immer wichtiger werden, gewinnt auch der sensible Umgang mit unserem baulichen Erbe zunehmend an Bedeutung. Wir sollten uns wieder darauf besinnen, welche Baustoffe gut für unsere Gesundheit sind. In Zeiten von Homeoffice und digitalen Vernetzungen verbringen wir mehr Zeit denn je in unseren Gebäuden.
Die heutige Bauweise unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von traditionellen Methoden. Während früher regionale Materialien und handwerkliche Techniken im Vordergrund standen, dominieren heute oft industriell gefertigte Bauteile und hochmoderne Technologien. Dieser Kontrast birgt Chancen, aber auch Risiken.
Wir müssen wieder lernen, die Vor- und Nachteile der Verwendung einzelner Baustoffe abzuwägen. Dies geht nur mit der notwendigen Bildung und Vernetzung in diesem Bereich.
Fragen Sie mal einen Menschen, der in einem Lehmhaus wohnt, ob er Probleme mit zu trockener Luft (und damit den Schleimhäuten) im Winter hat?
Die Kunst besteht darin, das Beste aus beiden Welten zu vereinen – die Ästhetik und Langlebigkeit traditioneller Bauweisen mit den Vorteilen moderner Technologien zu verbinden. Damit wären wir wieder ganz am Anfang – unserer gesellschaftlichen Pflicht, unsere Baukultur zu pflegen.
Wunsch und Wirklichkeit – Hürden in der Planung
Ein weiterer Stolperstein für Bauherren ist das Spannungsfeld zwischen individuellen Wünschen und den oft unflexiblen Bauvorschriften.
Auch hier fehlt uns das gesellschaftliche Wissen zum Umgang Erfolg bringender Diskussionen zu Lösungsmöglichkeiten besonders in der denkmalgeschützten Sanierung. Der Bauherr braucht ein grundlegendes Wissen über die geschichtliche Entstehung seines Gebäudes hinsichtlich früherer Nutzung und Bautechniken. Dem gegenüber stehen Bauvorschriften, die für unsere Neubauten erschaffen wurden, auf den Umgang mit zu sanierenden Altbauten aber nur begrenzt passen.
Dies sorgt bei der Sanierung von Altbauten regelmäßig zu Spannungen, da der Wunsch der Bauherren nach einer modernen Nutzung ihrer Gebäude nur über Umwege zu erreichen ist. Aber auch hier kommt, wie in der Baukultur, Bewegung ins Spiel. Es wird entschärfte Bauvorschriften für Altbauten geben. Ein Ziel ist in Sicht, auch wenn hier noch kein Zeitpunkt genannt wird.

Eine neue regionale Bewegung für den Erhalt alter Gebäude
Eine kleiner Meilenstein ist uns 2024 im Landkreis Hersfeld-Rotenburg gelungen.
Im Herbst 2024 haben sich Menschen rund um das Thema „Altbau sanieren” und „Baukultur” gefunden und die Initiative Baukultur Waldhessen ins Leben gerufen.
Dazu gehören:
- Bauherren, die alte Gebäude sanieren,
- Architekten, die nachhaltige Lösungen entwickeln,
- Handwerker, die traditionelle Techniken bewahren,
- Engagierte Bürger, die unseren leeren Dorfkernen mit anderen Wohnformen wieder Leben einhauchen wollen
Dies schafft eine Nachhaltigkeit, die zuletzt zu Mangelzeiten genutzt wurde.
Diese Treffen geben Mut und Energie an unserer Arbeit weiter festzuhalten und nicht müde zu werden, über traditionelle Bautechniken, alte Baustoffe und den Erhalt von historischer Substanz zu reden. Es belohnt alle am Bau Beteiligten für die manchmal endlosen Diskussionen im Verlauf von solchen Bauvorhaben. Endlich finden sich regional Menschen zusammen, die in eine Richtung blicken und gemeinsam eine Wende herbeiführen können.
Gemeinsam die Baukultur stärken
Wir sollten uns bewusst fragen, ob wir nicht wieder in lebendigen Gemeinschaften leben möchten, die sich gegenseitig unterstützen und vernetzen. Gleichzeitig lohnt es sich, traditionelle Baustoffe neu zu betrachten: Könnten sie nicht gesünder für unser Wohnklima sein als viele moderne Industrieprodukte, deren Entsorgung zukünftige Generationen vor immense Herausforderungen stellen wird?
Ohne die Krisen der letzten Jahre hätte der Wandel wohl noch etwas länger gedauert. Jeder, der jetzt ins Grübeln kommt, ist eingeladen, mit den Menschen der Initiative Baukultur in Verbindung zu kommen. Wir freuen uns auf viele Diskussionen, tolle Workshops und die ein oder andere Baustellenbesichtigung in 2025.
Das nächste Netzwerktreffen findet Ende März in Bad Hersfeld statt. Die Anmeldung erfolgt über angela.niering@nde-architekten.de

Angela Niering
Architektin
Angela Niering ist auf die Altbau- und Denkmalsanierung spezialisiert und setzt sich mit Leidenschaft für die Erhaltung und Restaurierung historischer Gebäude ein. Gleichzeitig engagiert sie sich für die energetische Sanierung von Wohngebäuden, um deren Energieverbrauch zu senken und die Energieeffizienz nachhaltig zu verbessern.